Wien (OTS) – Ab 1. Jänner 2026 müssen alle niedergelassenen Ärztinnen
und Ärzte
ICD-10 codierte Diagnosen an die Sozialversicherung übermitteln. Die
Erfassung strukturierter Diagnosen per se sei wichtig und sinnvoll,
betont Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer
und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Das Problem sei
die Umsetzung: „Wenn die Erhebung so erfolgt, dass die Datensammlung
keinen Mehrwert bietet und im Gegenteil auch zu falschen
Schlussfolgerungen führen kann, dann wird eine grundsätzlich gute
Idee gegen die Wand gefahren“, kritisiert er. Es sei außerdem
bedenklich, dass für die Begutachtung des Gesetzesentwurfs lediglich
eine Frist von knapp einer Woche eingeräumt wurde.
Zeitverzögerte medizinische Daten
Dem Ziel, ärztliche Diagnosen für wissenschaftlich-medizinische
Zwecke zu verwenden, wird die in der jetzigen Form geplante ambulante
Diagnose- und Leistungsdokumentation (AMBCO) nicht gerecht. Die
Übermittlung der Diagnosedaten ist nämlich über mehrere Instanzen
vorgesehen. Die erste davon ist die Sozialversicherung, die von den
Kassenärzten die Leistungen in unterschiedlichen Zeitintervallen
abrechnet – bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) erfolgt
die Leistungsabrechnung etwa immer zum Quartalsende. Nach der
Verrechnung durch die Sozialversicherung übermittelt diese die Daten
über eine vorgelagerte Pseudonymisierung-Stelle an den Dachverband.
Von dort gelangen die Daten zum Bundesministerium für Arbeit,
Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Damit würde es
drei bis sechs Monate dauern, bis die Diagnosedaten in der
Gesundheitspolitik ankommen: „Wenn die Übermittlung der Daten jedoch
getrennt von der Abrechnung laufen, könnten wir annähernd
tagesaktuelle Krankheitsdaten bekommen“, sagt Wutscher. Gerade bei
einem aufkommendem Infektionsgeschehen sei das durchaus sinnvoll. Aus
diesem Grund plädiert die Österreichische Ärztekammer für eine
Trennung der Abrechnungs- und Diagnosedaten. „Die Ärzteschaft
versteht nicht, warum man unseren entsprechenden Vorschlag nicht in
Erwägung gezogen hat“, betont Wutscher.
Keine qualitativen medizinischen Daten
Ein weiterer Aspekt, der für die Trennung von Abrechnungs- und
Diagnosedaten spreche, sei, dass erst dadurch eine gute Datenqualität
im Hinblick auf den Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS)
ermöglicht wird, ergänzt Dietmar Bayer, stellvertretender
Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte und Präsident der
Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin (ÖGTelemed). 2029 muss
nämlich ein wesentlicher Kernbestandteil des EHDS, eine Patienten-
Kurzakte – das sogenannte „Patient Summary“ – von Österreich
umgesetzt werden: „Darin müssen relevante Informationen zu
Vorerkrankungen, Medikamenten oder Allergien verankert sein, die in
Akutsituationen oder bei grenzüberschreitender Versorgung wichtig
sind“, erklärt Bayer. Die ICD-basierte Datenerfassung durch AMBCO
liefert aber die notwendigen Daten nicht: „AMBCO orientiert sich an
statistischen und abrechnungsrelevanten Vorgaben, was aber nicht die
Kriterien für eine qualitative Patient Summary, wie wir sie für den
EHDS benötigen, erfüllt“, erklärt er. Mit der AMBCO gäbe es für die
EHDS-Umsetzung ineffiziente, ressourcenbindende Doppelarbeiten, die
vermeidbar wären: „Das Projekt AMBCO ist eine EDV-technische
Sackgasse, deren Ende mit 2029 erreicht ist und bis dahin Millionen
verschlingt“, fasst Bayer zusammen.
Datenschutzfolgeabschätzung
Die im AMBCO geplante ICD-10-basierte Datenübermittlung müsse
gestoppt und das Projekt mit dem Hintergrund des EHDS neu aufgesetzt
werden. Denn: „Es werden zu viele Daten generiert, die keinen
Mehrwert bringen“, sagt Bayer. Und je mehr Daten gesammelt werden,
desto größer ist die Gefahr, dass diese verloren gehen oder geklaut
werden: „Das Risiko sollte auch im Hinblick auf den Datenschutz
minimiert werden“, sagt Bayer. Daher habe die Bundeskurie
niedergelassen Ärzte eine Datenschutz-Folgeabschätzung beauftragt:
„Wir prüfen die datenschutzrechtlichen Gefahren, die mit dieser
geplanten Codierung für den einzelnen Arzt einher gehen“, ergänzt
Wutscher.
Neues ELGA-Tool als Lösung
Der ÖÄK-Vizepräsident verweist auf den Alternativvorschlag zur
AMBCO, der sogenannten „e-Diagnose“ als neues ELGA-Tool, mit dem der
Datenaufwand minimiert und aussagekräftige Registerdaten generiert
werden könnten – durch eine Trennung der Diagnosen von den
Abrechnungsdaten. Dazu hat auch die Österreichische Gesellschaft für
Telemedizin in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus der
Softwareindustrie und der Gesundheitspolitik ein entsprechendes
Positionspapier veröffentlicht. „Unsere Bemühungen, hier die von uns
dem Gesundheitsministerium präsentierte, sinnvollere Lösung
umzusetzen, die einerseits kompatibel mit den europäischen Vorgaben
und andererseits einen Mehrwert für die Gesundheitspolitik bringen
würde, sind leider gescheitert“, sagt Wutscher. „Stattdessen werden
ab nächstes Jahr digitale Daten an das Gesundheitsministerium
vermittelt, die wenig bis gar nicht aussagekräftig sind und in der
Gesundheitsplanung daher irrelevant sein werden.“
Unnötige Ressourcenverschwendung
Nicht zu vergessen sei zudem der administrative Aufwand: es sei
bei jedem Besuch eine Codierung erforderlich, es sei möglich, dass
eine unspezifische Diagnoseerfassung beim nächsten Arztbesuch
angepasst werden müsse, es müssten Dauerdiagnosen nacherfasst und
zudem auch nicht-ärztliche Kontakte codiert werden: „Das führt zu
einem unnötigen Zeitaufwand in den Ordinationen für das gesamte
Team“, erklärt Bayer. Wutscher appelliert an die
Gesundheitsministerin: „Gerade in Zeiten, in denen es an allen Ecken
und Enden kracht, das Geld fehlt, sollte hier kosteneffizient und
sinnvoll agiert werden, um medizinische Daten mit Mehrwert für die
Gesundheitsplanung zu nutzen.“ Die Ressource „Arzt“ sei jetzt schon
knapp – Stichwort Kassenärztemangel – und der zusätzliche
administrative Aufwand für die Diagnosedokumentation führe dazu, dass
der Arzt weniger Zeit für den Patienten haben werde: „Ärztinnen und
Ärzte müssen für sinnlose Datengenerierung unnötigerweise Zeit
investieren, die besser beim Patienten aufgehoben wäre. Die
Attraktivierung des Arztberufes schaut anders aus“, so Wutscher
abschließend.