Wien (PK) – Die Bundesregierung soll künftig die Bearbeitung von
Anträgen auf
Familienzusammenführung per Verordnung vorübergehend aussetzen
können. Dafür sprach sich der Nationalrat heute mit einer
Stimmenmehrheit der Koalitionsparteien aus. Voraussetzung dafür wäre
gemäß Initiativantrag von ÖVP, SPÖ und NEOS, dass im Einvernehmen mit
dem Hauptausschuss des Nationalrats feststellt wird, dass die
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren
Sicherheit gefährdet sind. Die Koalition beruft sich dabei auf
Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV), der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, aus diesen Gründen von
einzelnen Bestimmungen des sekundären Asylrechts der EU abzuweichen.
Innenminister Gerhard Karner, Staatssekretär Jörg Leichtfried und
die Koalitionsparteien betonten im Plenum die Überlastung des
Bildungssystems, aber auch des Sicherheitsbereichs sowie des
Gesundheits- und Sozialsystems, die das Aussetzen der
Familienzusammenführung rechtfertigten.
Zudem beinhaltet die Novelle des Asylgesetzes Ausnahmeregelungen,
die insbesondere Minderjährige oder andere Antragsteller:innen
betreffen, bei denen das Recht auf Privat- und Familienleben laut
Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) „zwingend geboten“ ist.
Die Regelung soll laut Antrag mit Ende September 2026 außer Kraft
treten.
Unter anderem an diesem temporären Charakter der Novelle und den
Ausnahmeregelungen stieß sich die FPÖ. Für sie stellt die Novelle
generell eine „Mogelpackung“ dar, die nicht einmal auf den
„Nebenschauplatz“ der Familienzusammenführung eine Lösung biete. Sie
fordert einen absoluten „Asylstopp“ der genauso mit der Wahrung der
inneren Sicherheit argumentiert werden könne.Ein Antrag der
Freiheitlichen auf den sofortigen und permanenten Stopp der
Familienzusammenführung fand keine Mehrheit im Plenum. Ebenso
verhielt es sich mit einem im Zuge der Debatte eingebrachten
Entschließungsantrag, in dem die FPÖ die Bundesregierung auffordert
sich im Rahmen der EU-Institutionen „mit Vehemenz und Nachdruck“ für
einen Ausstieg Österreichs aus dem EU-Asylrecht einzusetzen.
Kritik an der Änderung des Asylgesetzes kam auch von den Grünen –
freilich aus gänzlich anderen Gründen: sie halten die Novelle für
„vorhersehbar wirkungslos“ und menschenrechtlich „höchst fragwürdig“.
Ihr Antrag auf eine EU-rechtskonforme Regelung der
Familienzusammenführung blieb ebenso in der Minderheit wie ein in der
Sitzung eingebrachter Entschließungsantrag der Grünen, in dem sie im
Sinne einer „evidenzbasierten Politik“ fordern, dem von der
Bundesregierung angekündigten „Integrationsbarometer“ nicht
vorzugreifen. Denn erst auf dessen Basis könne gegenüber Brüssel
hinreichend dargelegt werden, inwiefern die öffentliche Ordnung durch
den weiteren Vollzug der Familienzusammenführung gefährdet wäre.
Nachdem die Koalitionsparteien bereits im Innenausschuss einen
Abänderungsantrag zur Novelle einbrachten, der Präzisierungen und
zusätzliche Übergangsregelungen enthält, stellten sie auch in Plenum
einen Abänderungsantrag. Demnach soll den Antragsteller:innen das
Recht eingeräumt werden, mit gesondertem Antrag einen
Feststellungsbescheid der Vertretungsbehörde über das Vorliegen der
Voraussetzungen für einen Entfall der Hemmung zu erwirken. Die
Entscheidungsfrist für die Vertretungsbehörde soll mit acht Wochen
festgelegt werden.
Karner, Leichtfried und Koalitionsparteien: Novelle soll Systeme
entlasten
Die Novelle bedeute rechtlich „keinen einfachen Schritt“, aber
einen „absolut richtigen und notwendigen“, erklärte Innenminister
Karner. Damit werde eine nachhaltige Entlastung insbesondere der
Schulen aber auch im Sicherheitsbereich geschaffen. Karner verwies
auf die „massive Steigerung“ der Jugendkriminalität in den letzten
Jahren. Mit 80 % bis 90 % der Tatverdächtigen seien dafür vor allem
syrische Jugendliche verantwortlich. Daher habe die Bundesregierung
bereits im letzten Jahr unterschiedliche Maßnahmen gesetzt, wie den
verstärkten Einsatz von DNA-Tests und Dokumentenprüfungen, wodurch
eine „drastische Reduktion“ der Nachzüge gelungen sei.
Da Österreich in den letzten Jahren mit einer „sehr hohen Zahl an
Schutzsuchenden“ konfrontiert gewesen sei, sei neben den Schulen und
dem Sicherheitsbereich auch das Gesundheits- und das Sozialsystem an
Belastungsgrenzen gelangt, konstatierte Ernst Gödl (ÖVP). Nun habe
man mit der Novelle eine „machbare Lösung“ auf Basis des
Rechtsstaates geschaffen, wie auch Stellungnahmen von
Universitätsprofessor:innen bestätigten. Auf die Überlastung
insbesondere des Bildungssystems verwiesen auch Maria Neumann und
Romana Deckenbacher (beide ÖVP) und berichteten von Schulen, in denen
mehr als die Hälfte der Schüler:innen nicht Deutsch spreche. Daher
werde es künftig notwendig sein auf Basis eines
„Integrationsbarometers“ die Familienzusammenführung zu
kontingentieren.
Die Einwanderungs- und Asylpolitik der letzten Jahre habe viele
Institutionen „an den Rand der Funktionalität“ getrieben, attestierte
auch Staatssekretär Jörg Leichtfried – das merke jede:r im Alltag.
Wenn möglicherweise sogar der soziale Friede gefährdet sei, habe der
Gesetzgeber einzugreifen. Mit der vorliegenden Gesetzesänderung habe
man die „Balance zwischen den Prinzipien der Menschenwürde, der
Rechtsstaatlichkeit und des Ordnungsgedankens“ gewahrt, so
Leichtfried.
Den Befund, dass die Systeme überlastet seien teilten auch
Melanie Erasim, Bernhard Herzog, Robert Laimer und Maximilian Köllner
(alle SPÖ). Die Bundesregierung erledige mit der Novelle ihre
„Hausaufgaben“, die sie von der Bevölkerung bei der Nationalratswahl
2024 aufbekommen habe, erklärte Köllner. Wichtig sei es aber auch,
sich weiterhin für eine europäische Lösung einzusetzen. Für Laimer
ist die Aussetzung des Familiennachzugs auch deshalb entscheidend,
weil eine überforderte Gesellschaft keine offene bleiben könne. Man
beschließe die Novelle „nicht aus Hartherzigkeit, sondern aus
Notwendigkeit“.
Seitens der NEOS sprach Sophie Marie Wotschke von einem
„ausgewogenen Gesetzesvorschlag“, der sowohl die
integrationspolitischen Fakten anerkenne – was die Vorschläge der
Grünen verabsäumten – als auch den rechtlichen Rahmen berücksichtige
– was wiederum die Initiativen der FPÖ nicht leisteten. Die
„Fundamentalopposition von beiden Seiten“ mache sie sicher, dass die
Bundesregierung sich am „richtigen Weg der Mitte“ befinde. Michael
Bernhard (NEOS) unterstrich die Ernsthaftigkeit, mit der der
Begutachtungsprozesses zur Novelle betrieben worden sei. So habe die
Koalition einige „kritische Punkte“ aus den Stellungnahmen, etwa der
Richtervereinigung, eingearbeitet.
FPÖ mit Fundamentalkritik an Asyl- und Migrationspolitik
Scharfe Kritik an der Novelle übten die freiheitlichen
Abgeordneten. Anstatt eines wirkliches Stopps der
Familienzusammenführung werde mit der Novelle laut Gernot Darmann (
FPÖ) lediglich eine „dreiste Täuschung der Bevölkerung“, laut
Reinhold Maier (FPÖ) eine „Mogelpackung“ und laut Irene Eisenhut (FPÖ
) ein „Etikettenschwindel“, vorgelegt. De facto handle es nur um eine
Verschiebung des Problems bis September 2026. Zudem seien mit den
Ausnahmeregelungen bereits Umgehungsmöglichkeiten für die „Asyl-
Mafia“ in die Gesetzesänderung eingebaut worden, wie Darmann
ausführte. Damit gebe es nicht einmal am „Nebenschauplatz“ der
Familienzusammenführung eine wirkliche Lösung der Asyl-Problematik.
Dabei könnte die Bundesregierung mit dem Argument des Schutzes der
inneren Sicherheit ebenso gut einen kompletten „Asylstopp“ begründen.
Das einzige, was sie davon abhalte sei ihr eigner „fehlender Mut“, so
Darmann.
Wenn ein österreichischer Staatsbürger bzw. Staatsbürgerin eine:n
Ehepartner:in nach Österreich holen möchte, habe diese:r zahlreiche
Auflagen etwa hinsichtlich Einkommen und Wohnsituation zu erfüllen,
gab Michael Schilchegger (FPÖ) zu bedenken. Bei Asyl- oder subsidiär
Schutzberechtigten sei dies nicht Fall, wenn sie den Antrag auf
Familienzusammenführung innerhalb von drei Monaten nach Zuerkennung
des Schutzstatus stellen. Schilchegger fragte, ob etwa zwei
verschiedene Arten von Menschenrechten gültig seien.
Hinsichtlich des Befunds der Überlastung der Systeme stimmte FPÖ-
Klubobmann Herbert Kickl der Bundesregierung zu. Dies sei jedoch eine
Frage der Zahl an Fremden. Um diese zu reduzieren, sei es notwendig,
an mehreren „Stellschrauben“ zu drehen. So plädierte auch Kickl für
einen absoluten „Asylstopp“ sowie für ein „Kappen“ des Zugangs zur
Mindestsicherung für Zuwanderer. Da Österreich von sicheren Staaten
umgeben sei, sei dies auch „vollkommen kompatibel“ mit
internationalem Recht. Zudem regte Kickl an, die Bevölkerung zu
befragen, ob diese weitere Asylwerber:innen aufnehmen möchte, oder
eine „Asylquote Null“ vorzieht.
Grüne sehen Gesetzesänderung als menschenrechtlich „höchst
fragwürdig“ an
Die Aussetzung der Familienzusammenführung ändere „gar nichts“ an
den Problemen des Bildungssystems und sei zudem europa- und
menschenrechtlich „höchst fragwürdig“, kritisierte Agnes Sirkka
Prammer die Novelle. Trotz Bedenken von Expert:innen und der
„erwartbaren Wirkungslosigkeit“ werde diese einfach
„durchgepeitscht“, da der Innenminister von seinem „Versagen“ im
Integrationsbereich ablenken möchte. Prammer gab zudem zu bedenken,
welches „Bürokratie-Ungetüm“ der im Plenum eingebrachte
Abänderungsantrag der Koalition für die Gerichte bedeute.
Die ÖVP versuche der FPÖ vor dem Hintergrund des Wahlkampfes in
Wien „auf Kosten der Kinder das Wasser abzugraben“, wandte sich Alma
Zadić (Grüne) gegen die Novelle. Die Überforderung des
Bildungssystems habe man „sehenden Auges“ in Kauf genommen und keine
Maßnahmen zur Verbesserung der Lage gesetzt. Nun greife man auf
„reinen Populismus“ zurück, werfe „unsere Werte über Bord“ und
zerstöre Familien. Wenn die Politik zur Zeit des Jugoslawien-Krieges
ebenso „verantwortungslos“ agiert hätte, wäre sie heute nicht in
Österreich, erklärte Zadić. (Fortsetzung Nationalrat) wit
HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können
auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand
in der Mediathek des Parlaments verfügbar.