Wien (OTS) – „Inklusion bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen die
gleichen
Chancen auf ein möglichst selbstbestimmtes Leben haben wie alle
anderen Menschen auch. Dazu gehört, dass sie selbst entscheiden
können, wie, wo und mit wem sie leben“, sagt Volksanwalt Bernhard
Achitz anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von
Menschen mit Behinderung (5. Mai): „Deshalb müssen Bund, Länder und
Gemeinden für barrierefreie und gemeindenahe Wohnmöglichkeiten und
für ambulante Unterstützungsleistungen sorgen. Derzeit sind noch viel
zu viele Menschen mit Behinderung gezwungen, in Heimen oder ähnlichen
Einrichtungen zu leben.“ Eine umfassende De-
Institutionalisierungsstrategie ist notwendig, um die UN-
Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu erfüllen. Achitz: „Dazu hat
sich Österreich verpflichtet, und das gilt natürlich auch für Länder
und Gemeinden.“
Heime verkleinern ist zu wenig – persönliche Unterstützung
notwendig
Der zuständige UN-Fachausschuss stellte klar, dass De-
Institutionalisierung nicht einfach durch Verkleinerung bestehender
Einrichtungen ersetzt werden kann. Vielmehr sind Sondereinrichtungen
aufzulösen. Es braucht gesetzliche Neuregelungen, die auch
Rechtsansprüche beinhalten“, fordert Achitz. Unter anderem ist dabei
für ausreichende barrierefreie und gemeindenahe Wohnmöglichkeiten und
die Abdeckung ambulanter Unterstützungsleistungen zu sorgen.
Zielvorgaben, Fristen und Finanzierungsmodelle müssten festgelegt
werden. Persönliche Assistenz ist bei der personenzentrierten
Versorgung entscheidend. Achitz: „Und bitte nicht wieder neun
verschiedene Regelungen, sondern ein einheitliches österreichweites
Modell.“
Beispiele für fehlende De-Institutionalisierung
Die Volksanwaltschaft ist für die präventive
Menschenrechtskontrolle in Einrichtungen zuständig, wo Menschen in
Gefahr sind, in ihrer Freiheit eingeschränkt zu werden: Gefängnisse,
Kinder- und Jugend-WGs, Psychiatrien, Alten- und Pflegeheimen, aber
eben auch Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen. In
letzteren stoßen die Kommissionen der Volksanwaltschaft immer wieder
auf mangelnde De-Institutionalisierung:
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Immer wieder treffen die Kommissionen auf junge Menschen mit
Behinderungen oder chronischen psychiatrischen Erkrankungen, die
gezwungen sind, in Altersheimen zu leben. Denn es gibt viel zu wenig
passende Versorgungsstrukturen, wo sie selbstständig wohnen können.
Vor allem Kinder und Jugendliche mit Behinderung oder psychischen
Erkrankungen sollen nicht gemeinsam mit Erwachsenen mit Behinderungen
oder psychischen Erkrankungen betreut und untergebracht werden.
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Eine Kommission besuchte eine Großeinrichtung in der Steiermark,
die zwar schrittweise bemüht ist, genehmigte Plätze zu reduzieren.
Dennoch würden laut Plan im Jahr 2045 im Haupthaus noch immer 144 der
ursprünglich genehmigten 332 Plätze bestehen bleiben. „Die Reduktion
dauert zu lang, und die Verkleinerung ist weit weg von einer UN-BRK-
konformen De-Institutionalisierung“, so Achitz.
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In einer Einrichtung für Jugendliche mit Behinderungen in Tirol
kritisierte eine Kommission, dass sich sowohl die Schule als auch die
Wohn- und Freizeitmöglichkeiten unter einem Dach befinden. Das
erschwert die Teilhabe der Jugendlichen an der Gesellschaft.
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SERVICE: Details zu den geschilderten Fällen finden Sie im
aktuellen Bericht der Volksanwaltschaft an den Nationalrat (ab Seite
108): https://volksanwaltschaft.gv.at/downloads/144j3/pb-48-
praeventiv_2024-bf-mit-wappen.pdf
Volksanwalt Achitz erinnert an die Leitlinien zur De-
Institutionalisierung des UN-Fachausschusses, die die Pflicht zur
Beendigung von Institutionalisierung betonen. Starrheit der Routine
ungeachtet des persönlichen Willens, identische Aktivitäten am selben
Ort für eine Gruppe unter einer bestimmten Autorität, ein
paternalistischer Ansatz bei der Erbringung von Dienstleistungen, die
Überwachung der Lebensumstände und die große Anzahl an Menschen in
derselben Umgebung sind für den Fachausschuss eine Form von Gewalt.
Achitz: „Ziel von De-Institutionalisierung ist, dass Menschen mit
Behinderungen nicht abgeschottet und eingesperrt werden, sondern
selbstbestimmt in der Gemeinde leben können.“
NGO-Forum am 19. Mai: „Human Rights First – trotz Sparpaket“
Die De-Institutionalisierung ist menschenrechtlich geboten und
darf nicht am Finanziellen scheitern. Die Volksanwaltschaft
diskutiert jedes Jahr ein gesellschaftspolitisch und
menschenrechtlich relevantes Thema mit der Zivilgesellschaft. Das
heurige NGO-Forum widmet sich am 19. Mai dem Thema „Human Rights
First – trotz Sparpaket“. Trotz Budgetdefizit und Sparkurs dürfen die
Förderung und Weiterentwicklung der Menschenrechte nicht an den Rand
der politischen Agenda gedrängt werden. Wie das gelingen kann und
worauf dabei der Fokus gelegt werden sollte – diesen Fragen möchten
wir uns in Impulsvorträgen von Expertinnen und Diskussionsrunden mit
Abgeordneten aller Parlamentsparteien annähern. Der Fokus liegt auf
zwei konkreten menschenrechtlichen Themenbereichen: Die Rechte von
Frauen und die Rechte von Menschen mit Behinderung. Die Teilnehmer*
innen werden über die im NGO-Sounding-Board der Volksanwaltschaft
vertretenen Organisationen eingeladen. Medienvertreter*innen werden
gesondert eingeladen.