Die Bauindustrie in Österreich steht vor einer gewaltigen Herausforderung: Der Boden wird knapp, und die Nachfrage nach Wohnraum steigt rasant. Am 30. Juni 2025 trafen sich führende Vertreter der Baubranche, der Stadt Wien und des Gemeindebundes, um über nachhaltige Lösungen zu diskutieren. Die zentrale Frage: Wie kann man den Bedarf an Wohnraum decken, ohne die wertvolle Ressource Boden weiter zu strapazieren?
Der Boden wird knapp: Eine kritische Lage
Österreich verzeichnet ein stetiges Bevölkerungswachstum, das den Druck auf die verfügbaren Bauflächen erhöht. Laut aktuellen Studien werden in Wien jährlich etwa 15.000 neue Wohneinheiten benötigt. Doch der potenzielle Siedlungsraum ist begrenzt, was den Bedarf an kreativen Lösungen dringlicher denn je macht.
Ein Blick zurück: Historische Entwicklungen
Die Entwicklung der urbanen Räume in Österreich hat in den letzten Jahrzehnten zu einer zunehmenden Flächeninanspruchnahme geführt. Historisch gesehen war die Expansion der Städte ein Zeichen von Wachstum und Wohlstand. Doch heute, im Jahr 2025, ist die Situation eine andere. Die schiere Größe der bebauten Flächen hat ein Maß erreicht, das nicht mehr nachhaltig ist. Österreich ist nicht fertig gebaut, so das Credo der Baustoffindustrie, die sich für eine nachhaltige Zukunft einsetzt.
Arthur Kanonier, ein Experte für Bodenpolitik an der Technischen Universität Wien, betont: „Rund 6.000 Quadratkilometer der heimischen Fläche sind bereits in Anspruch genommen, davon ist ein Viertel noch unbebaut.“ Diese Zahlen verdeutlichen die Dringlichkeit der Lage.
Strategisches Flächenmanagement als Schlüssel
Um die Balance zwischen Baubedarf und Bodenschutz zu finden, ist ein strategisches Flächenmanagement unerlässlich. Dieses Konzept zielt darauf ab, die Nutzung der vorhandenen Flächen zu optimieren und Neubauten auf bereits erschlossenen Gebieten zu konzentrieren. „Nicht zersiedeln, sondern in bereits bebauten Flächen verdichten, ist das Gebot der Stunde“, so Kanonier.
Vergleich mit anderen Bundesländern
Während Wien mit der Bodenknappheit kämpft, haben andere Bundesländer wie die Steiermark oder Tirol bereits erfolgreich Strategien zur Flächennutzung implementiert. Diese Regionen setzen verstärkt auf die Verdichtung bestehender Bebauungen und die Nutzung von Dachflächen, um neuen Wohnraum zu schaffen.
Innovative Lösungen: Bauen auf Wiens Dächern
Eine der vielversprechendsten Ansätze ist die Nutzung von Dachflächen. Armin Mohsen Daneshgar von Daneshgar Architects erklärt: „Wiens Dächer bieten rund 3 Millionen Quadratmeter Fläche für 200.000 Wohnungen.“ Die Aufstockung bestehender Gebäude könnte nicht nur den Wohnraum erweitern, sondern auch Energie sparen. „Bis zu 80 Prozent Energieersparnis sind möglich, wenn im Zuge der Aufstockung auch der Bestand saniert wird“, ergänzt Daneshgar.
Die Auswirkungen auf die Bürger
Für die Bewohner Wiens bedeutet diese Entwicklung mehr als nur zusätzlichen Wohnraum. Dachgärten könnten als grüne Oasen dienen, die Lebensqualität erhöhen und gleichzeitig zur Klimaanpassung der Stadt beitragen. Irene Lundström, Fachbereichsleiterin Stadtbildbegutachtung MA19, betont die Wichtigkeit eines stimmigen Dialogs zwischen alt und neu bei Erweiterungsbauten, um das Stadtbild zu bewahren.
Nachhaltigkeit im Fokus: Sanierung statt Neubau
Die österreichische Bauindustrie bekennt sich zu einem nachhaltigen Ansatz. Roland Hebbel vom Zentralverband industrieller Bauprodukthersteller fasst zusammen: „Neubau ja, doch nachhaltig.“ Der Fokus liegt auf der Sanierung bestehender Gebäude und der Wiederbelebung von Ortskernen. Daniel Fügenschuh von der Bundeskammer für Ziviltechniker:innen weist darauf hin, dass Österreich jedes Jahr eine Fläche, so groß wie Eisenstadt, verbraucht. Dies erhöht die Gefahr von Umweltkatastrophen wie Hochwasser und Hitzeinseln.
Expertenmeinungen und Zukunftsausblick
Die Experten sind sich einig: Um die Flächeninanspruchnahme bis 2030 substanziell zu verringern, braucht es eine breite Unterstützung. Johannes Pressl, Präsident des Österreichischen Gemeindebunds, sieht Bodensparen als Anliegen der gesamten Gesellschaft. „Die heutige Diskussion zentraler Stakeholder deutet in Richtung einer breiten Unterstützung“, so Pressl.
Die Regierung plant, die Entscheidungen stärker auf Landesebene zu bündeln. Das aktuelle Regierungsprogramm sieht vor, Flächenrecycling vor Neuwidmung und Sanierung vor Neuerrichtung zu priorisieren. Doch wie sich diese Pläne in der Realität manifestieren werden, bleibt abzuwarten.
Gesetzliche Rahmenbedingungen als Grundlage
Ein klarer Rechtsrahmen ist notwendig, um die Mobilisierung von Bauland zu ermöglichen. „Wir sehen uns in unseren Bestrebungen der letzten Jahre bestätigt“, freut sich Andreas Pfeiler vom Fachverband Steine-Keramik. Der Verband forciert seit Jahren verdichtetes Bauen, um Energie zu sparen und die Bodeninanspruchnahme zu minimieren.
Fazit: Ein gemeinsamer Weg in die Zukunft
Die Herausforderungen sind groß, aber die Chancen ebenso. Mit einem strategischen Flächenmanagement, der Nutzung von Dachflächen und einer nachhaltigen Bauweise kann Wien den Weg in eine nachhaltige Zukunft ebnen. Die Zusammenarbeit aller Stakeholder ist dabei entscheidend. Die heutige Diskussion zeigt, dass ein breiter Konsens möglich ist, um die Bodenknappheit zu überwinden und gleichzeitig den Wohnbedarf zu decken.