Mit einem prächtigen Festakt, dem nach Angaben der Braunschweiger Polizei 60.000 Menschen bei strahlend blauem Himmel folgten, weihte am vergangenen Sonntag die Stadt Braunschweig die wieder aufgebaute klassizistische Fassade des Braunschweiger Residenzschlosses ein. Die Feier ließ keinen Zweifel, dass sich mit diesem Wiedererstehen eines geschichtsträchtigen Gebäudes mehr verbindet als die Unterbringung von städtischen Kultureinrichtungen. Vielmehr gibt der Anblick des Schlosses den Einwohnern einen Teil ihrer Identität zurück, derer sie durch die Auflösung des Landes Braunschweig und das aufgehen dieser Region im Land Niedersachsen 1946 gleichsam beraubt wurden. So schmückte die Feier auch nicht das stolze Niedersachsenross oder die Flagge der Stadt Braunschweig, sondern die blau-gelben Farben des alten Landes und früheren Herzogtums Braunschweig-Lüneburg. Über diesen kleinen Staat ist längst der Mantel der Geschichte gewachsen. Aber die Menschen haben, wie sich jetzt deutlich zeigt, nicht vergessen, dass ihr Land einmal bedeutend war. Das Herzogtum Braunschweig hatte die Fläche des heutigen Saarlandes und durch eine gewaltige Industrie ein Bruttosozialprodukt, dass es unter heutigen Bedingungen zu einem Boomland der Europäischen Gemeinschaft machen würde. Braunschweig ist wieder da und das gefällt den Menschen der ehemaligen Landeshauptstadt Braunschweig – aber auch die Menschen aus Salzgitter, Helmstedt und Wolfenbüttel sehen im Braunschweiger Residenzschloss, dessen Fassade originalgetreu wiedererrichtet wurde, ihre Heimat wieder mit anderen Augen. Einen würdigen Rahmen für die Schlosseinweihung gab das Konzert des Staatsorchesters Braunschweig unter Leitung seines Generalmusikdirektors Jonas Alber. Er zauberte mit seinem Orchester, das zu den ältesten Kulturorchestern der Welt zählt, die entsprechende feierliche Atmosphäre. Das Staatsorchester Braunschweig ist aus der 1587 gegründeten Hofkapelle des Herzogs Julius zu Braunschweig-Wolfenbüttel hervorgegangen und Hector Berlioz bezeichnete es nach verschiedenen Dirigaten als das ideale Orchester. Barocke und auch populäre Klänge von Johann Strauss brachten die Musiker den Gästen am Braunschweiger Bohlweg, der sich zu einem Prachtboulevard entwickelt, ebenso zu Gehör, wie die Faust Ouvertüre vom Braunschweiger Komponisten Louis Spohr. Goethes Faust wurde am herzoglichen Hoftheater in Braunschweig uraufgeführt. Die Geschichte der Stadt ist mit ihrer reichen Kultur- und Wissenschaftslandschaft insbesondere durch die Zeit als Hauptstadt des Herzogtums geprägt. Ehrengäste der Schlosseröffnung waren die ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen Dr. Ernst Albrecht und Gerhard Glogowski – den Hochadel vertrat mit Prinz Heinrich, Herzog von Braunschweig-Lüneburg ein Enkel der letzten Landesfürstin Herzogin Victoria Luise, die die einzige Tochter des letzten deutschen Kaisers war.

Das Besondere am Wiederaufbau der Schlossfassade ist das Finanzierungsmodell, das viele Nachahmer finden wird. Denn das Gebäude entstand ohne den Einsatz finanzieller Mittel von Stadt, Land oder Bund. Vielmehr gelang es der Stadt Braunschweig die ECE Projektmanagement GmbH und Co KG, die eine Vielzahl von Einkaufszentren in Deutschland und Europa entwickelt, realisiert, vermietet und langfristig betreibt, zu bewegen, vor dem Einkaufszentrum den Schlosskörper und die Fassaden des Residenzschlosses eins zu eins unter Verwendung von mehr als 600 erhalten gebliebenen Originalteilen als Residenzschloss am ursprünglichen Ort wiederaufzubauen. Auf Beschluss des Stadtrates war trotz massiver Proteste der Bevölkerung und der letzten Regentin des Herzogtums Braunschweig, Herzogin Victoria Luise, das kriegsbeschädigte Residenzschloss 1960 abgerissen worden und hatte eine tiefe Wunde in der Braunschweiger Innenstadt und der Seele der Einwohner hinterlassen. Das Land Braunschweig verlor seine Mitte und die Menschen einen Identifikationspunkt. Der Kampf um Macht und Ansehen zwischen der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover und der ehemaligen Hauptstadt des Landes Braunschweig ist ähnlich radikal wie zwischen Köln und Düsseldorf. Aber schon jetzt wirken Residenzschloss-Rekonstruktion und auch das ECE-Einkaufszentrum als Impulsgeber für die Stadt Braunschweig. Eine Vielzahl von Neuansiedlungen steht dem niedersächsischen Oberzentrum bevor und die gesamte Innenstadt hat sich zum Positiven gewandelt. Demgegenüber ist der befürchtete Käuferschwund in den alten Fußgängerzonen nicht eingetreten, sondern vielmehr hat die Zahl der Käufer aus dem Umland deutlich zugenommen. Braunschweig hat durch das Einkaufszentrum und das Residenzschloss seinen Stellenwert als Einkaufs- und Kulturstadt ausgebaut. Die finanzielle Lage der Stadt Braunschweig, die in den vergangenen Jahren eine deutschlandweit beispiellose Entschuldung erreichte, erlaubte es jedoch nicht, die Räume des Residenzschlosses entsprechend auszustatten. Lediglich 1,2 Millionen Euro standen dafür zur Verfügung. Glücklicherweise haben verschiedene Stiftungen, darunter die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und die Stiftung Nord/LB-Öffentliche, große Anstrengungen unternommen, damit das Schloss auch im Inneren wie ein Schloss aussieht. Doch hier ist noch viel zu tun. Durch die weitere Aufwertung des Schlossinneren lässt sich sicher auch der Stellenwert der Stadt Heinrichs des Löwen als Touristenziel aufpolieren. Welche Stadt kann schon im Umkreis von wenigen hundert Metern Dom, Burg, Schloss und bedeutende Museen und Theater präsentieren? Braunschweig kann’s. In seiner Rede stellte der Oberbürgermeister Dr. Gerd Hoffmann die drei großen Epochen der Braunschweiger Geschichte dar:

Das Zeitalter Herzog Heinrichs des Löwen und seines Sohnes Kaiser Otto IV. von Braunschweig, in der die Stadt an der Oker ein europäisches Machtzentrum war,

die Hansezeit, in der die Hansestadt Braunschweig faktisch eine selbstständige Reichsstadt war und zu den bedeutendsten Städten Europas zählte

und schließlich die Epoche als Residenz eines kleinen, aber einflussreichen und wirkungsvollen Landes, des Herzogtums Braunschweig und nach der November-Revolution des Freistaates sowie später des Landes Braunschweig, das erst 1946 im Land Niedersachsen aufging.

Durch den Verlust der Eigenständigkeit und den Abriss des schwer kriegsbeschädigten Residenzschlosses sowie die Zonenrandlage verloren die Menschen im alten Lande Braunschweig einen Teil ihrer Identität, die durch die imposante Fassade und den wohlproportionierten Platz vor dem Residenzschloss jetzt zurückgekehrt ist. Die Stadt Braunschweig hat das Residenzschloss angemietet, um hier konzentriert die Kultureinrichtungen der Stadt unterzubringen. So entwickelte sich das Residenzschloss vom herzoglichen Mittelpunkt eines kleinen Landes zum Hort der Kultur. Das größte Manko des prächtigen Gebäudes ist das an vielen Stellen noch fehlende Schlossambiente im Inneren. Es ist aber schon geplant, einen Thronsaal einzurichten und das Schlossmuseum sowie die städtischen Kultureinrichtungen weiter aufzuwerten. Nachdem schon der Braunschweiger Unternehmer Richard Borek II vehement gegen den Abriss des Schlosses gekämpft hatte, verwundert es nicht, dass sich sein Sohn Richard Borek III für den Braunschweiger Residenzschloss einsetzt. In weniger als zwei Jahren gelang es den Bauherren das Braunschweiger Residenzschloss, das als jüngster eigenständiger Residenzbau in Deutschland gilt, mit seinem barocken Schema und einem ausdrucksstarken spätklassizistischem Stil mit mannigfaltigen Zitaten antiker Architektur, zu rekonstruieren. Das von vielen Braunschweigern als Kulturschloss bezeichnete Gebäude, bietet Platz für das Stadtarchiv, die Stadtbibliothek, die Öffentliche Bücherei, das Kulturinstitut und das Schlossmuseum, das die wechselvolle Geschichte des Schlosses zeigt. Die Menschen haben scheinbar ihr Schloss und auch das riesige dahinter liegende Einkaufszentrum "Schloss-Arkaden" angenommen und die Stadt Braunschweig ist um eine touristische Attraktion und eine schönen attraktiven Konsumtempel reicher. Zusammenwachsen können beide nicht, da sich hier Kultur und Kommerz diametral begegnen. Der Kommerz liegt hinter dem Schloss und vor Braunschweig und seinen Gästen eine wundervolle Aussicht, die um eine ebensolche Innensicht ergänzt werden sollte! Dass sich die Planer der Rekonstruktion des Berliner Schlosses im Austausch mit der Stadt Braunschweig befinden, verwundert nicht.

Autor: Sven-David Müller-Nothmann, ZEK, Gotenring 37, 50679 Köln (Deutz), info@svendavidmueller.de

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