Die Europäische Union steht vor einer epochalen Herausforderung: Fettleibigkeit, eine der drängendsten Gesundheitskrisen unserer Zeit, hat alarmierende Ausmaße angenommen. Ein kürzlich veröffentlichtes Dokument der United European Gastroenterology (UEG) macht deutlich, dass die EU jetzt handeln muss, um eine Gesundheitskatastrophe zu verhindern.
Die stille Epidemie
Fettleibigkeit ist längst zu einer stillen Epidemie geworden, die sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht. Laut den neuesten Daten sind fast 60 % der Europäer übergewichtig oder fettleibig. Besonders erschreckend ist, dass auch Kinder betroffen sind: Eines von drei Kindern kämpft mit Übergewicht. Diese Zahlen sind nicht nur Statistiken, sie sind ein Weckruf für die Politik.
Die gesundheitlichen Folgen
Fettleibigkeit ist nicht nur ein kosmetisches Problem. Sie ist ein Hauptrisikofaktor für eine Vielzahl von Krankheiten, darunter Verdauungsstörungen und verschiedene Krebsarten. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg dieser Erkrankungen bei Menschen unter 50 Jahren. Die Stigmatisierung und das mangelnde Bewusstsein verzögern häufig eine frühzeitige Diagnose, was die Behandlungschancen verschlechtert.
Politischer Handlungsbedarf
Die UEG hat am 5. Juni im Europäischen Parlament eine Veranstaltung unter dem Titel „Connecting the Dots: Obesity, Digestive Diseases and Cancers“ organisiert. Ziel war es, politische Entscheidungsträger, Kliniker, Patientenvertreter und Experten des öffentlichen Gesundheitswesens zusammenzubringen, um dringende, koordinierte Maßnahmen zu fordern.
MEP Romana Jerković, Vorsitzende der MEP Digestive Health Group, betonte: „In die Prävention zu investieren ist nicht nur eine gute Gesundheitspolitik, sondern auch eine kluge Wirtschaftspolitik.“ Diese Aussage verdeutlicht, dass gesundheitspolitische Maßnahmen auch wirtschaftliche Vorteile bringen können.
Finanzielle Aspekte
Die Europaabgeordnete Alessandra Moretti wies darauf hin, dass 90 % der Todesfälle in der EU auf nicht übertragbare Krankheiten (NCDs) zurückzuführen sind, aber nur 2,8 % der Gesundheitsbudgets zur Verfügung stehen. Diese Diskrepanz zeigt, dass dringend mehr Mittel in die Prävention und Forschung investiert werden müssen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Dr. Kremlin Wickramasinghe von der WHO Europe warnte in seiner Grundsatzrede, dass Adipositas heute die führende Ursache für Behinderungen in der Europäischen Region ist. Jährlich trägt sie zu 20.000 neuen Krebsfällen bei. Die wissenschaftlichen Vorträge untermauerten den Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Krebserkrankungen im Verdauungstrakt. Professoren wie Patrick Michl und Thomas Seufferlein erklärten, wie Übergewicht durch chronische Entzündungen und Stoffwechselstörungen Krebs fördert.
Experten fordern Maßnahmen
Professor Patrizia Burra, Vorsitzende der UEG Public Affairs Group, leitete die Diskussion zur Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Politik. Der Europaabgeordnete Tomislav Sokol von der European People’s Party betonte, dass Fettleibigkeit ein gesellschaftliches Problem und kein individuelles Versagen sei. Er forderte einen EU-weiten, gesamtgesellschaftlichen Ansatz ähnlich wie bei der Tabakkontrolle.
- Strengere Regulierung der Lebensmittelvermarktung
- EU-weite Verbrauchssteuern
- Breiteren Zugang zu Therapien wie Semaglutide
- Frühzeitiges Screening auf Lebererkrankungen
- Strukturiertes Gewichtsmanagement nach Krebserkrankungen
Diese Maßnahmen sind entscheidend, um Adipositas als eine chronische, multifaktorielle Krankheit anzuerkennen, die eine multidisziplinäre Betreuung erfordert.
Die Rolle der EU
Die EU steht am Scheideweg. Die Frage ist nicht, ob gehandelt werden sollte, sondern wie schnell und effektiv die Maßnahmen umgesetzt werden können. Der Europaabgeordnete Jerković schloss die Veranstaltung mit einem eindringlichen Aufruf: „Statistiken sind niemals nur Zahlen; sie stehen für Leben. Heute haben wir begonnen, die Punkte zu verbinden – jetzt müssen wir handeln.“
Die Zukunft der europäischen Gesundheitspolitik hängt davon ab, wie entschieden die EU jetzt handelt. Die nächsten Monate könnten entscheidend sein, um die Wende im Kampf gegen Fettleibigkeit und die damit verbundenen Krankheiten einzuleiten.