Die Arbeiterkammer Wien hat mit ihrer 184. Vollversammlung ein starkes Signal für mehr Tempo bei der Gleichstellung gesetzt. Vor genau 100 Jahren legte Käthe Leichter mit der Gründung des Frauenreferats den Grundstein für die systematische Erhebung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen. Heute, ein Jahrhundert später, steht die Gleichstellung noch immer im Fokus, wie die jüngste Vollversammlung eindrucksvoll zeigte.

Ein Rückblick auf Käthe Leichter und ihre Vision

Käthe Leichter, eine Pionierin der Frauenbewegung in Österreich, erkannte früh die Notwendigkeit, die spezifischen Herausforderungen und Bedürfnisse von Frauen wissenschaftlich zu erfassen und politisch zu adressieren. Ihre Arbeit legte den Grundstein für viele der heutigen Diskussionen über Gleichstellung und feministische Ökonomie.

Leichter war überzeugt, dass nur durch fundierte Daten die Lebensrealität von Frauen verbessert werden kann. Ihre Erhebungen führten zu politischen Forderungen, die bis heute nachwirken. Die Vollversammlung der AK Wien erinnert an ihr Erbe und betont die Bedeutung, diese Arbeit fortzusetzen.

Feministische Ökonomie im Fokus

Die diesjährige Vollversammlung stand ganz im Zeichen der feministischen Ökonomie. Bundesministerin Eva-Maria Holzleitner hob in ihrer Eröffnungsrede hervor, dass Gleichstellung kein Relikt der Vergangenheit sei, sondern ein hochaktuelles Thema. Sie betonte, dass die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit ein strukturelles Problem darstellt, das nur durch gesellschaftliche Anstrengungen gelöst werden kann.

Holzleitner unterstrich, dass unbezahlte Sorgearbeit oft als Liebesdienst abgetan wird, obwohl sie volkswirtschaftlich wertvoll und systemrelevant ist. Diese unsichtbare Arbeit, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird, trägt maßgeblich zur Stabilität unserer Wirtschaft bei. „Unsere Wirtschaft steht auf den Schultern dieser unsichtbaren Arbeit“, so die Ministerin.

Podiumsdiskussion: „Mit den Frauen rechnen!“

In einer spannenden Podiumsdiskussion mit AK-Ökonomin Jana Schultheiß, Soziologin Nadja Bergmann und Maria Gluchman von REWE wurde die Bandbreite der feministischen Ökonomie beleuchtet. Schultheiß betonte, dass viele Themen seit Jahrzehnten unverändert auf der Agenda stehen. Es gebe zwar Fortschritte, aber nach wie vor viele Wissenslücken, insbesondere bei der Auswirkung von Teuerungen auf Frauen.

Bergmann präsentierte Ergebnisse einer Umfrage zur Lohntransparenz, die zeigten, dass Einkommen in vielen Betrieben weiterhin ein Tabuthema sind. Diese Intransparenz trägt zur Ungerechtigkeit bei, da Gehälter oft nur informell diskutiert werden.

Gluchman betonte die Rolle der Betriebsräte bei der Schaffung von Lohntransparenz. Sie erläuterte, wie Betriebsräte Informationen bereitstellen und Gehaltsfragen offen diskutieren, um faire Einkommen für Frauen zu fördern. „Frauen wollen nicht Teilzeit arbeiten, sie wollen Vollzeit arbeiten und sollten nicht vom Goodwill der Arbeitgeber abhängig sein“, so Gluchman.

Renate Anderl: Die Frauenbrille aufsetzen

AK-Präsidentin Renate Anderl forderte, alle Politikbereiche durch die „Frauenbrille“ zu betrachten. Sie argumentierte, dass feministische Politik allen zugutekommt und nie zu Lasten der Männer geht. Anderl hob hervor, dass Frauen von Inflation und anderen wirtschaftlichen Herausforderungen anders betroffen sind als Männer, da sie strukturell weniger Geld haben und einen Großteil ihres Einkommens für lebensnotwendige Ausgaben aufwenden müssen.

Anderl plädierte für eine feministische Perspektive in Wissenschaft, Ökonomie, Politik und Verwaltung und betonte, dass dies keine freiwillige Übung, sondern eine strukturelle Notwendigkeit sei. Sie rief dazu auf, die feministischen Ansätze weiter auszubauen und gute Daten zu erheben, um die spezifischen Betroffenheiten von Frauen besser zu verstehen.

Die Zukunft der Gleichstellung: Ein Ausblick

Die Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien hat gezeigt, dass die Gleichstellung von Frauen noch immer ein zentrales Thema ist, das kontinuierlich Aufmerksamkeit und Engagement erfordert. Die Forderungen nach mehr Lohntransparenz, der Anerkennung von Sorgearbeit und der strukturellen Integration feministischer Perspektiven sind Schritte in die richtige Richtung.

Experten sind sich einig, dass die nächsten Jahre entscheidend sein werden, um die erarbeiteten Konzepte in die Praxis umzusetzen. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen muss gestärkt werden, um eine echte Chancengleichheit zu erreichen. „Wir müssen verhindern, dass die nächsten Generationen über die immer gleichen Themen diskutieren müssen“, so ein Experte.

Die Arbeiterkammer Wien plant, die gewonnenen Erkenntnisse aus der Vollversammlung in konkrete Maßnahmen umzusetzen und die Diskussion um Gleichstellung weiter voranzutreiben. Die Vision ist klar: Gleichstellung soll kein Wunsch oder Privileg bleiben, sondern selbstverständliche Realität werden.

Die vollständigen Diskussionen und Reden der Vollversammlung können auf der Website der Arbeiterkammer Wien nachgesehen werden.